Ausgangslage: Politikwerkstatt „Mobile Arbeit“ zu Herausforderungen und Möglichkeiten hybrider Arbeit
Wer den neuen Anforderungen von Beschäftigten an einen „modernen“ Arbeitsplatz als Arbeitgeber gerecht werden will, darf die Herausforderungen auf der Ebene des Arbeitsschutzes nicht unterschätzen. Aber auch die Beschäftigten sind gefordert, denn hybride Arbeit verlangt ein vergleichsweise hohes Maß an Disziplin, Selbstorganisation und Mitwirkung. Klare Strukturen und transparente Regelungen sind daher unerlässlich. Vor diesem Hintergrund und dem im Koalitionsvertrag formulierten Auftrag, „zur gesunden Gestaltung des Homeoffice im Dialog mit allen Beteiligten sachgerechte und flexible Lösungen zu erarbeiten“, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) von September 2022 bis Oktober 2023 den Austausch in der Politikwerkstatt „Mobile Arbeit“ geführt. Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen, insbesondere aus Wirtschaft und Wissenschaft, diskutierten hierbei über Ansätze, um die hybride mobile Arbeit hinsichtlich ihrer Herausforderungen und Möglichkeiten differenzierter einzuordnen.
Es lohnt sich daher, einen Blick darauf zu werfen, welche konkreten Maßnahmen und Schritte das BMAS für besonders wichtig hält und inwiefern diese Empfehlungen die vielfältigen Erscheinungsformen hybrider Bildschirmarbeit ausreichend berücksichtigen.
Besonderheiten hinsichtlich des Arbeitsschutzes bei mobiler Arbeit
Dabei stellen sich bei der Einführung mobiler Arbeitsformen ganz unterschiedliche Fragen zum Thema Arbeitsschutz. Anders als für den Bereich der Telearbeit, für die der Gesetzgeber über die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) die Anforderung des Arbeitsschutzes näher konkretisiert hat, fehlt im Bereich der mobilen Arbeit bislang ein vergleichbar ausdifferenziertes Regelungswerk. Dies führt aber nicht dazu, dass im Bereich der mobilen Arbeit eine Auseinandersetzung mit dem Arbeitsschutz obsolet ist. Denn auch wenn mobile Arbeit ihrem Wesen nach außerhalb der Arbeitsstätte stattfindet, folgt bereits aus § 618 BGB und den Vorschriften in §§ 3 ff. ArbSchG, dass es sich hierbei nicht etwa um einen regelungsfreien Raum handelt. Vielmehr gilt der gesetzliche Arbeitsschutz weiterhin und ist somit auch zwingend von dem Arbeitgeber zu berücksichtigen. Insofern besteht auch bei mobiler Arbeit die arbeitgeberseitige Pflicht, erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen und die mobile Beschäftigungsform so auszugestalten, dass physische und psychische Gesundheitsgefährdungen im Einklang mit § 4 ArbSchG so gut es geht vermieden werden. Hier muss der Arbeitgeber auch im Bereich mobile Arbeit präventiv tätig werden.
Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, dass der für eine Tätigkeit in der Betriebsstätte einschlägige Arbeitsschutz ohne weiteres auf die mobile Arbeit zu übertragen ist. Die zahlreichen Besonderheiten, die eine ortswechselnde Arbeitsweise mit sich bringt und die die „Natur der Dienstleistung“ bzw. die „Art der Tätigkeit“ modifizieren und somit zu unterschiedlichen Grundvoraussetzungen führen, müssen bei der Ausgestaltung des Arbeitsschutzes berücksichtigt werden, als dass diese. Ein starres Festhalten an der bisherigen, auf eine stationäre Tätigkeit bezogenen betrieblichen Praxis verbietet sich angesichts der Ortsunabhängigkeit.
Dies bedeutet, dass die typischen Instrumente des Arbeitsschutzes, wie beispielsweise die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung sowie die Ergreifung angemessener Schutzmaßnahmen (§ 5 Abs. 1 ArbSchG), aber auch die ausreichende Unterweisung der Beschäftigten (§ 12 Abs. 1 ArbSchG), auch für den mobilen Bereich relevant, allerdings unter Berücksichtigung der sich hier in tatsächlicher Hinsicht ergebenden Besonderheiten und Grenzen anzuwenden sind.
Erkenntnisse der Politikwerkstatt: „modifizierte″ Gefährdungsbeurteilung auch für hybride Arbeitsmodelle?
Die Diskussion in der Politikwerkstatt „Mobile Arbeit“ war vor allem von der Idee geprägt, eine Balance zwischen angemessenen arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen im mobilen Bereich und einer möglichst unkomplizierten Ausgestaltung hybrider Arbeitsmodelle zu finden. Mobile Arbeit soll auf der einen Seite sicher und frei von vermeidbaren Gesundheitsgefährdungen umgesetzt werden, auf der anderen Seite aber auch flexibel und individuell ausgestaltbar sein. Nur wenn dies gewährleistet ist, ist mobile Arbeit eine attraktive Beschäftigungsform mit Zukunft. Auch, aber nicht nur vor dem Hintergrund der arbeitsschutzrechtlichen Perspektive hat das BMAS auf Grundlage der Erkenntnisse der Politikwerkstatt „Empfehlungen für eine gute hybride Bildschirmarbeit“ erlassen.
Über die konkrete Frage des Arbeitsschutzes hinaus, kommt das BMAS zu dem Ergebnis, dass ein gemeinsames Verständnis und Klarheit über die Reichweite mobiler Arbeit hilfreich seien. Das gilt nicht nur mit Blick auf die zu treffenden Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch hinsichtlich der Einordnung, welche Tätigkeiten mobil tatsächlich sinnvoll ausgeübt werden können. Darüber hinaus ist nach den Empfehlungen des BMAS Handlungssicherheit für den Aspekt des zeitlichen Anteils der hybriden Bildschirmarbeit im Verhältnis zum Arbeiten im Betrieb erstrebenswert sowie hinsichtlich der Frage, wer welche Kosten in welchem Umfang trägt.
Mit Blick auf den Themenbereich des Arbeitsschutzes folgert das BMAS, dass eine Gefährdungsbeurteilung auch für hybride Arbeitsmodelle die Grundlage für „sichere, gesunde, motivierende und produktive Arbeitsbedingungen“ darstellt. Konsequent ist hierbei zunächst die Feststellung, dass die Beschäftigten mitwirken und den Arbeitgeber beispielsweise durch das Ausfüllen von Checklisten in die Lage versetzen müssen, die Arbeitsbedingungen im „Mobile Office“ einzuschätzen und zu bewerten und ausgehend hiervon erforderliche Schutzmaßnahmen abzuleiten. Darüber hinaus sind die Beschäftigten in geeigneter Weise über ihre Mitwirkungspflichten bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu unterrichten, nicht zuletzt, um sie zu einem eigenverantwortlichen und sich selbst schützenden Umgang mit den Belastungen in einer mobilen Arbeitswelt zu befähigen. Zuletzt bedarf es der regelmäßigen Überprüfung und – bei Bedarf – auch der kontinuierlichen Anpassung von Arbeitsschutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber, um effektiven Arbeitsschutz auch auf Ebene der hybriden mobilen Arbeit zu gewährleisten.
Auswirkungen auf und Relevanz für die mobile Arbeitswelt
Die Erkenntnisse der Politikwerkstatt sowie die hierauf basierenden Empfehlungen des BMAS tragen dazu bei, das in gesetzlicher Hinsicht nur im Ansatz reglementierte Feld des Arbeitsschutzes bei der mobilen Arbeit zu konkretisieren und Arbeitgebern sinnvolle sowie praxisorientierte Tipps an die Hand zu geben. Die Ergebnisse der Initiative bestätigen: Betriebliche oder tarifliche Regelungen zur Ausgestaltung mobiler Arbeit können Handlungssicherheit für die Beteiligten schaffen, indem geordnete Grundstrukturen zur Verfügung gestellt werden. Das Bedürfnis nach einem ausdifferenzierten Regelungssystem wächst dabei mit dem Stellenwert und der Relevanz, die dem Modell der hybriden Arbeit im Unternehmen zukommt. Hier sind die Ergebnisse richtig und stehen im Einklang mit den oben beschriebenen und unabhängig hiervon geltenden gesetzlichen Arbeitsschutzanforderungen.
Im Bereich der „echten“ mobilen Arbeit hat die Initiative dagegen versäumt, für mehr Klarheit zu sorgen. Da sich die Arbeit der Politikwerkstatt und die hieran anknüpfenden Empfehlungen des BMAS (ganz bewusst nur) auf die ortsfeste Bildschirmarbeit beschränken, lassen sich hieraus nur begrenzt Schlüsse für das Feld der Arbeit ohne festen Bildschirm ziehen. Dabei wurde diese Beschränkung bereits im Kreis der Expertinnen und Experten nicht nur lebhaft diskutiert, sondern vor allem auch von Arbeitgebern erheblich kritisiert. Die Empfehlungen des BMAS zielen vor allem auf die ortsfeste Arbeit „in den eigenen vier Wänden“ sowie eigens für die mobile Arbeit vorgesehene Co-Working-Spaces ab. Bildschirmarbeit im Zug, im Café oder auch in einem Ferienhaus im Ausland wurde dabei schon bei der Begriffsbestimmung explizit ausgeklammert. Hier stellen sich zwar aus arbeitsschutzrechtlicher Perspektive grundsätzlich ähnliche Fragestellungen mit vergleichbaren Ableitungen. Zu beachten sind jedoch die nahezu endlosen Möglichkeiten von Arbeitsplätzen ohne festen Bildschirm, die besondere praktische Probleme aufwerfen können und einer Klärung bedürfen. Bis dahin sind Arbeitgeber gut beraten, den Arbeitsschutz pragmatisch auszugestalten.
Fazit: weitreichendere Handlungsempfehlungen des BMAS wären wünschenswert
Die Empfehlungen des BMAS zur Umsetzung des Arbeitsschutzes bei hybrider mobiler Arbeit sind richtig und wichtig. Sie liefern (erste) notwendige Klarstellungen zu den verschiedenen Einwirkungs- bzw. Mitwirkungsbereichen. Wünschenswert wäre allerdings gewesen, den Begriff der mobilen Arbeit weiter zu fassen, um dem Bedürfnis nach Handlungssicherheit in der betrieblichen Praxis auch bei „echter“ mobiler Arbeit und damit noch besser gerecht werden zu können.